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Warum ich keine URL-Shortener auf Twitter verwende – und nur selten gekürzte Links anklicke

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Vor ein paar Tagen hat Scheidtweiler PR zusammengefasst, warum man auf Twitter keine Short-URLs mehr verwenden muss. Der Grund: Twitter zieht ohnehin für alle Links die gleiche Zeichenzahl vom Tweet ab, sodass Short-URLs effektiv keinen Vorteil mehr bieten.

Aber es sprechen noch einige weitere Gründe ganz klar gegen gekürzte Links. Eine kleine Auswahl:

Bitly befürchtete 2011 sogar selbst, durch die libyschen Machthaber gesperrt zu werden

Das .ly in der Domain des beliebten Short-URL-Service Bit.ly steht so für Libyen, wie das .de in bundesregierung.de für Deutschland – und Libyen ist auch für die Verwaltung der .ly-Domains zuständig, kann also Bedingungen für die Registrierung aufstellen, Domains vergeben und auch ansonsten administrieren.

There are potential issues with the bit.ly domain since it is controlled by the Libyan government, which has previously removed domains deemed incompatible with Muslim principles.
Wikipedia: Bitly

Das ist normalerweise kein Problem, aber während des arabischen Frühlings befürchtete Bit.ly, dass die komplette Domainendung .ly durch die libyschen Machthaber gesperrt werden könnte – sämtliche Links hätten dann nicht mehr zum eigentlichen Ziel geführt, sondern wären effektiv weltweit geblockt gewesen.

Mit vb.ly drehten die libyschen Machthaber 2010 auch einem der Bitly-Konkurrenten ohne große Vorankündigung den Saft abgedrehten – mit der Begründung, dass auch Links auf pornographische Inhalte von Nutzern über den Dienst gekürzt worden wären.

Der URL-Shortener kann Inhalte sperren oder die gekürzten Links auf andere Inhalte umleiten

Auch wenn die Domainendung einem Staat gehört, der relativ zensurunverdächtig scheint, bleibt immer noch das Risiko, dass der Anbieter die Links selbst umbiegt oder ein neuer Eigentümer die Links ändert.

[UNU] war einer der ersten URL-Shortener mit nur drei Zeichen (…) – ein für die damalige Zeit echtes Wett­bewerbs­argument. (…) Wer jetzt die Adresse von UNU öffnet, landet auf dem Angebot einer amerikanischen Wellness Community.
Die Netzpiloten

So wie beispielsweise beim ehemals relativ beliebten URL-Shortener u.nu, der 2010 zuerst abgeschaltet und dann verkauft wurde.

Damit es soweit kommt, muss das Unternehmen nicht einmal verkauft werden – genauso kann es auch sein, dass der Service die Links selbst umschreibt. Ganz am Anfang hat beispielsweise Pinterest diese Strategie gefahren und automatisch bei allen Links zu Amazon & Co. ein Kürzel angehängt, um Provisionen für Bestellungen zu erhalten.

Das ist in diesem Fall noch harmlos gewesen, aber was ein Anbieter mit den Links macht, ist nach dem Kürzen nicht mehr steuerbar – egal, ob es um Provisionen, Maleware, Propaganda oder Phishing geht.

Short-URLs werden seltener als die Original-Links geklickt und verfälschen damit die Statistiken

Viele Anbieter von Kurz-URLs bieten Statistiken zu Klickzahlen an und ermöglichen damit, Tweets oder Facebook-Posts besser zu planen und an die Zielgruppe anzupassen. Das Blöde dabei: Systeme verändern sich, wenn sie überwacht bzw. beobachtet werden – das Prinzip kennt man unter anderem aus dem Physikunterricht und aus der Psychologie und auch in sozialen Netzwerken verändert die Statistikmessung mit gekürzten URLs die Statistik selbst.

Buddymedia hat 2011 in einer Studie herausgefunden, dass auf Facebook die Originallinks dreimal so oft angeklickt werden wie gekürzte Links (demgegenüber stehen zwar auch andere Studien, laut der kurze URLs sogar mehr Klicks bringen als lange URLs – das bezieht sich aber nicht unbedingt auf gekürzte, sondern auf von Anfang an kurze URLs und auf die Anzeige in Suchmaschinen statt auf die Nutzung in sozialen Netzwerken).

Ein Grund dafür, dass Links von Bitly seltener geklickt werden: Wenn wir einen Link zu zeit.de, nytimes.com oder einem anderen bekannten Internetangebot sehen, verbinden wir damit auch Erwartungen an die Qualität des Artikels, die Usability der Seite auf dem Smartphone oder den Datenverbrauch – wir schätzen also schon vor dem Klick ab, ob sich der Klick überhaupt lohnt oder ob wir das Youtube-Video besser später auf dem Laptop ansehen.

Dieser Wissensbonus verschwindet aber vollkommen, wenn ein „anonymer“ Bitly-Link verwendet wird, hinter dem von der gut recherchierten New-York-Times-Reportage bis zur kruden Verschwörungstheorie, von der ans iPhone angepassten Website bis zur in Flash programmierten Homepage, vom Text-only-Angebot bis zum HD-Stream alles stecken kann.

Gekürzte Links verzögern den Seitenaufruf

Ein Argument, das für Marketing und Nutzerfreundlichkeit nicht unwichtig ist: Short-URL-Links werden langsamer geladen als direkte Links, weil durch den Kurzlink zwei statt einer Website aufgerufen werden. Das ist einmal die Seite auf dem Short-URL-Server (die für die Weiterleitung notwendig ist) und dann nochmal die Seite mit dem eigentlichen Angebot.

Google Vice President Marissa Mayer asked web surfers – would you rather see 10 or 30 results for your Google search? The users agreed that 30 results per page sounded like a good idea. So Google implemented it on some results pages.
Then the shock came.
Pages that displayed 30 results each had traffic to them drop an astounding 20%. Google tested the loading difference between the 10 and 30 results pages and found that it was just half of a second.
Kissmetrics-Blog

Die Folge: Die Weiterleitung verzögert den Seitenaufruf um ca 200 ms. Klingt nicht viel, aber Amazon gibt beispielsweise an, dass 100ms längere Ladezeiten zu 1 % weniger Käufen führen und Google selbst hat sich seinerzeit dafür entschieden, nur zehn statt 30 Suchergebnisse pro Seite anzuzeigen, weil durch die 0,5 s längere Ladezeit der Traffic um 20% einbrach.

tl;dr

Es ist generell eine schlechte Idee, Links irgendwelchen Services anzuvertrauen, bevor man sie twittert oder weiterleitet. Es kann sein, dass der Short-URL-Service an einen Dritten verkauft wird, der die Links umschreibt und es kann sein, dass der URL-Shortener die Links selbst umleitet.

Short-URLs sind bedenklich, weil sie auf vollkommen andere Inhalte umgeleitet werden können, weil sie die Klickrate reduzieren und weil sie die eigentliche Angebotsseite langsamer machen.

Die Alternative zu Statistiken über URL-Shortener:

Mit Twitter Analytics und Facebook Insights lassen sich Statistiken über Klicks auch ohne Kurz-URL-Dienst abrufen.

Facebook insights website clicks from Facebook

Facebook Insights: Statistiken für die Klicks auf die eigene Website abrufen

Falls es nicht ohne URL-Shortener geht, sollte der Service aber zumindest soweit an das eigene Unternehmen angepasst sein, dass ein Hinweis auf das Angebot in der URL erkennbar ist.

#Social Media #Twitter

Über den Autor:

Ich habe als Journalist und Social-Media-Experte für t-online.de, die dpa und stern.de / Gruner + Jahr / RTL gearbeitet. Hier schreibe ich unter anderem über Facebook, Twitter, Instagram, LinkedIn, TikTok und andere Themen rund ums Online-Marketing.

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